NADINE RENNERT

 

 

O.T., 2000, Polyesterwatte, Kunstfell, Polyamid, verschiedene Maße    

Seit 1999 beschäftigt sich Nadine Rennert mit einer neuen Werkgruppe, die im Begriff ist, zu ihrer bislang umfangreichsten zu werden.

In vielfachen Variationen stellt sie Objekte her, die als Basis einen aus Watte genähten Körper beinhalten. Ein mehrere Zentimeter dickes Vliesmaterial, wie es z.B. für die Wattierung von Jacken gebraucht wird, schneidet Rennert in passende Stücke und vernäht diese an den Rändern miteinander, so dass sich langsam Schicht um Schicht ein massiver, in seiner Struktur verhältnismäßig fester Wattekörper ausbildet. Im Gegensatz zu den Stretch-Objekten, die sich über die Formulierung und dauerhafte Konservierung einer Oberfläche in Spannung definieren, wird hier ein deutlich langsameres bildhauerisches Wachstum von einem Kern aus betrieben. So bildet sich über die Machart ein völlig anderer Charakter der Plastiken aus. Die explosionsartige Dynamik macht der Vorstellung eines ruhigen Schwellens Platz.

Das Exzentrische kippt in bedächtig pumpende Melancholie.

Die haptischen Qualitäten scheinen diesen Temperamentwechsel zu bestätigen: Während die Elastizität des Stretchgewebes durch die Zuckertränkung zu einer hart verkrusteten, an bestimmten Stellen sogar kristallinen Standfestigkeit erstarrt ist, bleibt hier die Wesenheit des Materials erhalten: Das entstandene und in sich durchaus stabile Volumen vermag einem einwirkenden Druck federnd nachzugeben, sowie der stachligweiche Flaum der synthetischen Watte allseits präsent bleibt. Formal bleibt Nadine Rennert allerdings ihrem organisch amorphen Repertoire treu. Ohne dass es einem gelingen würde, die diversen Variationen tatsächlich angemessen zu titulieren, bleiben die Parallelen zu inneren Organen, etwa zu Lungenflügeln, Nieren, oder zu geschlechtsbezogenen Körperteilen, wie Hoden, virulent.


Der nächste Gestaltungsschritt scheint dieses Assoziationsfeld noch zu forcieren. Die entstandenen Wattekörper werden in unterschiedlicher Weise gefasst. Es gibt Parzellen, die hinter dem hautfarbenen Schleier eines Nylongewebes verschwinden, das die Haarigkeit der Watteoberfläche zu bändigen versteht, während andere Teile der Skulptur vollständig von einem beigen oder braunen Teddy-Stoff verdeckt werden. Schließlich wird der (zunehmend komplexer werdende) Materialmix von maßgschneiderten Korsagen aus Kunstleder zusammengehalten. Die funktionale Plausibilität dieser Gurtsysteme ist dabei ebenso vage und unergründlich wie die von ihnen umfassten Formen selbst. Eine wirkliche Funktion der Gurte, die manchmal tief in den Wattekörper einschneiden, manchmal bestimmte Teile durch allseitiges Umfassen akzentuieren und manchmal in körbchenartigen Taschen enden, die ganze "Körperteile" in sich aufzunehmen vermögen. Ist nicht zu klären. An der einen Stelle scheinen sie wie eine medizinische Korsage dem Körper Stand zu geben, ihn in seinem Dasein hilfreich zu entlasten, während sie an anderer Stelle eher schmerzhaft wirken.


Die Rezeption dieser Objekte gerät zu einem undurchsichtigen Spiel aus kunstimmanenten (d.h. bildhauerischen), inhaltlichen und materiellen (die Textur betreffenden) Analogien, Wahrheiten und Täuschungen.

Auszug aus: Alexander Braun

Hybriden, überall Hybriden, 2000, Publikation der Kunsthalle Erfurt zur Ausstellung Schwerer werden. Leichter sein.



stellvertreterplusch    
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